Mit seinem überzeugenden Debütalbum „11 Zeugen“ konnte Daniel Wirtz unglaublich punkten und damit innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche Fanbase erzielen. Zwei Jahre sind seit dem vergangen, vieles wurde verarbeitet, durchgekaut und ausgespuckt, einiges musste zunächst einmal geschluckt und verdaut werden, anderes wiederum liegt dem Künstler allerdings bis heute schwer im Magen.
Das hier vorliegende, Album „Erdling“ knüpft inhaltlich exakt dort an wo der Vorgänger „11 Zeugen“ endet und wirkt daher wie eine Fortsetzung der Gedanken, die auf seinem ersten Album keinen Platz gefunden haben. Hört man dem mittlerweile 32-jährigen Musiker genau zu, scheinen sich seine Probleme von damals nicht gelöst zu haben. Ebenfalls lässt mich das Gefühl nicht los, dass er es bislang nicht geschafft hat, sich von den vielen negativen Gedanken in seinem Kopf zu verabschieden. Nach den durch Melancholie geschwängerten „11 Zeugen“ waren meine Erwartungen in Richtung pushigere Songs, die Mut machen und Licht sehen lassen, enorm hoch. Doch schauen wir uns die Titel des Erdlings etwas genauer an:Die Songs klingen nach wie vor präsentiert und äußerst Nahe an der Person Wirtz, der auf der Suche nach sich selbst, seinen Stil gefunden hat und diesen als reine Selbsttherapie zu nutzen scheint. Die Texte sind emotional am oberen Limit und werden in grundehrlichen Form, dem Hörer splitter-faser-nackt auf dem silbernen Teller serviert werden. Der bereits über MySpace bekannt gewordene Opener „Im freien Fall“ bringt es ziemlich genau auf den Punkt: „Unprätentiös und direkt, Wirtz in reinster Form„. Es wird eliminiert, was dem Künstler auf der Seele brennt und auch das was weh tut bis zu Ende gedacht.
Es überwiegen Midtempo-Nummern, die teilweise an seine Zeit mit der Band Sub7even erinnern. Möglicherweise erinnert sich noch jemand an den Charts-Erfolg den die Überflieger damals mit „Weathermen“ hatten. Hier allerdings erzählt er seine eigene Geschichte und die klingt obendrein deutlich brauchbarer, wenn es nach meinem Geschmack geht.
Es geht um Themen wie Liebe, Träume, Wahrheit und Schmerz die in direktester Weise in seinen Worten transportiert werden, wie sie gefühlt kaum unerwünschter sein könnten. Unerwünscht? wahrscheinlich, weil man mit dieser Art von schonungsloser Direktheit nicht gerne konfrontiert wird – und damit polarisiert Wirtz gewaltig. Wer damit nicht klar kommt kann ihn am Arsch lecken. Dass drückt er in selbtironischer Form mit dem Titel „L.M.A.A.“ aus, dessen Songtext ausschließlich aus Presse-Zitaten besteht, die seit den 11 Zeugen über ihn „geschrieben“ wurden. Wer sich die Hörprobe dieser Nummer gibt, kann sich eigentlich schon jetzt ausmalen, wie der Song vor allem Live arschtreten und die Klubs zum toben bringen wird.
Nicht zu vernachlässigen sind allerdings auch die ruhigeren Songs wie „Scherben“ oder das musikalisch brillant ausgearbeitete „Nada Brahma„, harmonievoll wie die gleichnamige Meditation-Methode, den in verschiedenen Phasen durch das Album führt und Körper und Geist vereinen lässt. Aber genau das macht wohl auch das besondere aus, dem man sich im Laufe der 13 Titel kaum entziehen kann.
Zusätzlich gibt es auf dem Album einen kleinen Bonus in Form von zwei weiteren Songs on-top: den Titel „Lebe wohl„, der bereits als Bonus Track über iTunes bekannt gemacht wurde und dem bisher nur auf der „Keine Angst„-Single veröffentlichten Titel „Overkill„.
Leider muss sich Wirtz auch den Vergleich mit seinem vermeintlichen Genre-Kollegen Der W (Stephan Weidner) gefallen lassen, da sich auffällig viele Schlagworte und Gedankengänge mit den Inhalten auf dessen Solo-Veröffentlichung „Schneller, Höher, Weidner“ überschneiden. In diesem Zusammenhang ist es wohl mehr als erfreulich, dass er mit seinem eigens gegründeten Label Wirtz Musik und dem bodenständigen Produzenten Matthias Hofmann ganz sicher keinen Fehler gemacht hat und somit auch in Zukunft die Freiheit haben wird, sich selbst zu verwirklichen. Aufgrund der pessimistischen Grundstimmung des Albums in Folge reicht es diesmal leider nicht zu einer vollen Punktzahl. Mitunter auch, weil das Albumcover auf dem ein Baby mit seinen Tätowierungen, Trucker Cap und Earplug zu sehen ist, absolut nicht meinen Geschmack trifft.
Unabhängig davon zählt Wirtz zu einem der vielversprechendsten Acts des Deutschsprachigen Rockgenres von dem in Zukunft noch einiges zu erwarten ist – vorausgesetzt er gibt dem Feind in einem Kopf den Laufpass und steht sich auf dem Weg nach oben nicht selbst im Wege.
Review von Marcus Berg